Nach meiner Auszeit in Indien gewöhne ich mich allmählich wieder an das Leben in der Schweiz. Alles fühlt sich hier gedämpfter an – das Licht, die Farben, die Geräusche, die Menschen. Diese Rückkehr fühlt sich wie ein komplexer Übergang an – eine Neuverhandlung meiner hybriden Identität .
Ich weiss, dass ich damit nicht allein bin. Hybride Identitäten wie meine sind tief in das soziale Gefüge der Schweiz verwurzelt: Fast ein Drittel der ständigen Bevölkerung wurde im Ausland geboren, rund 60 % der Kinder haben mindestens einen Elternteil aus dem Ausland und bereits 40 % der Bevölkerung im Alter von 15 Jahren und älter haben einen Migrationshintergrund (weitere Informationen findest du in meinem neuesten Blogbeitrag zur kulturellen Vielfalt in der Schweiz). Diese Zahlen legen nahe, dass hybride Identitäten die Norm sein sollten, doch in dem, was allgemein als „Schweizerisch“ anerkannt wird, sind sie noch immer weitgehend abwesend.
In letzter Zeit habe ich mich mit dem Begriff „postmigrantisch“ beschäftigt – ein relativ neues Wort für eine gar nicht so neue Realität. Anders als „multikulturell“, das die Koexistenz verschiedener Kulturen impliziert, „interkulturell“, das den Austausch betont, und „transkulturell“, das gemischte Identitäten feiert, geht „postmigrantisch“ einen Schritt weiter: Es normalisiert Diversität als Selbstverständlichkeit.
Postmigrantisches Denken geht über Binäritäten wie „Schweizer*in/Einheimische*r“ vs. „Ausländer*in/Migrant*in“ hinaus und betrachtet Migration als integralen Bestandteil der Geschichte eines jeden Menschen, nicht als Ausnahme. Es fordert uns alle, unabhängig von unserer Herkunft, dazu auf, neu darüber nachzudenken, was es bedeutet, dazuzugehören und teilzunehmen.
In meiner Bewegungsrecherche ringe ich mit diesen Fragen. Sie erscheinen mir gewaltig. Wer wäre ich, wenn ich meine hybride Identität in meinem täglichen Leben und meiner Tanzpraxis hier voll zum Ausdruck bringen könnte? Wenn ich beispielsweise beim Tragen meiner indischen Kleidung nicht Gefahr liefe, als „exotisch“ angesehen zu werden, oder wenn sich die Einbeziehung indischer Tanzformen in die zeitgenössische Schweizer Szene so natürlich anfühlen würde wie das Atmen? Eines Tages hoffe ich herauszufinden, was das für mich sein könnte.
„Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiss auch nichts von seiner eigenen.“ – Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Betrachtungen.
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