Wie verkörpert man eine kulturell hybride Identität? Wie findet man Bewegungssprachen, die den Dialog zwischen unterschiedlichen kulturellen Einflüssen sichtbar machen, ohne dabei in Klischees zu verfallen? Diese Fragen standen im Zentrum meiner 6-tägigen, selbstfinanzierten Künstlerresidenz im Atelier Bick letzte Woche.
Meine Residenz hat das Ziel, die Bruchlinien und die Gleichzeitigkeit meiner kulturellen Herkunft – indisch-pakistanisch und schweizerisch – durch Bewegung neu zu denken und auszudrücken.
Thema und Ziel der Recherche
In meiner Arbeit untersuche ich, wie meine kulturelle Fragmentierung und die Geschichte von Migration und Heimatverlust in meinem Körper sichtbar werden. Der Fokus liegt auf der Frage: Wie kann Tanz die vielschichtige Realität einer postmigrantischen Identität ausdrücken?
Persönlicher Hintergrund und Motivation
Als Tochter indisch-pakistanischer Eltern, die in der Schweiz aufgewachsen ist, navigiere ich ständig zwischen unterschiedlichen kulturellen Codes. Mein Körper ist ein Archiv dieser Übergänge – von Ballett-Training in meiner Jugend, der Ausbildung im nordindisch klassischen Gesang und Kathak-Tanzform bis zu meinem aktuellen zeitgenössischen Tanztraining. Diese Residenz war eine Gelegenheit, diese vielschichtige Identität bewusst in Bewegung umzusetzen und die Frage nach Zugehörigkeit und kultureller Repräsentation zu erforschen.
Gesellschaftlicher Kontext
Meine persönliche Auseinandersetzung spiegelt eine breitere gesellschaftliche Realität wider. In der Schweiz ist fast ein Drittel der Bevölkerung im Ausland geboren, und viele Kinder wachsen mit hybriden Identitäten auf. Dennoch wird diese Realität oft nicht als Norm verstanden. Der Begriff „Postmigrantisch“ bietet eine neue Perspektive, indem er Vielfalt nicht als Ausnahme, sondern als Standard versteht. Er fordert auf, starre Binaritäten wie „Schweizerin“ und „Ausländerin“ zu hinterfragen.
Bewegung als Ausdruck hybrider Identität
Zeitgenössischer Tanz bietet Raum, um kulturelle Einflüsse zu verschmelzen und gleichzeitig die Frage nach Authentizität und Exotismus kritisch zu beleuchten. Mein Ziel war es, eine eigene Bewegungssprache zu entwickeln, die sich von den Rhythmen, Gesten und Geschichten des klassischen indischen Tanzes beeinflussen lässt, ohne dabei in eine Nachahmung zu verfallen. Stattdessen habe ich versucht, durch intuitive Bewegungen und Dialoge mit meinem Körper Neues zu schaffen.
Ansätze und Methoden
Meine Arbeit bestand aus zwei Phasen:
Morgens: Zeitgenössisches Tanztraining, inspiriert von Online-Sessions mit Russell Maliphant. Jede Einheit fokussierte auf spezifische Aspekte wie Rotationen, Fuss- oder Beinarbeit.
Abends: Ein Annähern an den Dialog mit indischen Tanz- und Musiktraditionen. Hier habe ich versucht, intuitive Verbindungen zwischen meinem westlichen und indischen Körper herzustellen.
Aus diesen Prozessen entstanden kleine Studien und Rituale, in denen ich mit Licht, Sound und Video gespielt habe.
Dokumentation
Die Schlüsselmomente der Recherche habe ich vorerst in sechs kurzen Videos festgehalten. Jedes Video zeigt einen Aspekt meiner Recherche – von der tänzerischen Studie bis zur atmosphärischen Interpretation.
Ich habe eine Unmenge an Videomaterial, die ich noch nicht ausgewertet habe - vielleicht folgen noch mehr kurze Clips, die ich auf Instagram oder LinkedIn teilen werde.
Day 1: The line
Day 2: The legs
Day 3: The elbows
Day 4: The Pooja
Day 4: The spell
Day 5: The spiral
Fazit und Ausblick
Diese Residenz war der Anfang einer grossen Frage, die mich noch lange begleiten und inspirieren wird: Wie kann ich meine hybride Identität in Bewegung übersetzen und gleichzeitig die Geschichte von Displacement und Zugehörigkeit tänzerisch reflektieren?
Doch die Woche war nicht nur eine künstlerische Forschung, sondern auch eine persönliche Herausforderung. Sie brachte mich mit grundlegenden Fragen konfrontiert:
Wie arbeite ich, wenn ich vollkommen allein bin, in einer Art Klausur?
Wie strikt gehe ich mit mir selbst um, und wann lasse ich los, um Raum für Intuition zu schaffen?
Wann brauche ich Struktur und Disziplin, und wann ein indirektes, kreisförmiges, spielerisches Herangehen?
Wie wichtig sind Produktivität und Zielstrebigkeit in einer Residenz?
Wie gehe ich mit der Einsamkeit um, und wie sorge ich für mein Wohlbefinden?
Die Antworten auf diese Fragen waren genauso vielschichtig wie die Bewegungsrecherche selbst. Diese Zeit hat mich gelehrt, wie wichtig es ist, ein Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Loslassen zu finden – sowohl in meiner künstlerischen Praxis als auch im Umgang mit mir selbst. Aber auch, wie wichtig der Austausch mit Gleichgesinnten ist, um sich nicht in den eigenen Gedankenkreisen zu verlieren.
Die Residenz war wiedermal dieses eigenartige und magische Erfahrung, im Nichtwissen und Unbekannten zu verweilen. Sie hat Spuren gelegt, denen ich weiter folgen werde – nicht nur auf der Tanzfläche, sondern auch in meiner Auseinandersetzung mit Identität, Kultur und Kreativität.
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