Seit bereits vier Wochen recherchieren Joana und ich zusammen an dem Thema Projektion und Bewegung – und es gibt noch unendlich vieles zu entdecken. Wer die vorigen Beiträge noch nicht gelesen hat: Joana Hermes absolviert bis Ende Jahr ein Praktikum bei mir für ihr Studium an der ZHdK.
Digitaler Zwilling
Um genügend Dunkelheit zu haben für die Projektion, haben wir unsere Probezeiten so verschoben, dass wir einmal pro Woche erst ab 20.00 Uhr ins Studio gehen. Es ist eine ganz eigenartige Erfahrung in der Dunkelheit der Winternacht in dieser Lichtprojektion zu tanzen. Es fühlt sich an wie eine Parallelwelt, die wir betreten, sobald das Licht ausgeht.
Mich erinnert das Gefühl irgendwie an Nächte, in denen ich mich im Internet verliere. Es gibt diese zwei gleichzeitigen Realitäten: eine ganz intime, in der ich in der Stille der Nacht in der Küche sitze, der Kühlschrank surrt leise hinter mir, atmend und fühlend schaue ich in den Bildschirm, und da ist die Welt hinter dem Bildschirm. Die Realität scheint zweigeteilt wenn nicht sogar mehrfach – geteilt…
Das projizierte Raster erscheint mir immer mehr wie ein Sinnbild für die digitale Welt. Das Netz, durch das wir gleiten, schlüpfen, oder in dem wir hängenbleiben. Ich beginne ein paar Texte zum Körper in der digitalen Welt zu überfliegen und stolpere über den Begriff “digitaler Zwilling” – der mir irgendwie ganz passend erscheint zu der Arbeit, die hier entstehen könnte. Ein digitaler Zwilling repräsentiert ein reales Objekt in der digitalen Welt. Es kann sich um materielle oder immaterielle Objekte handeln. Sie werden für Simulationen und komplexe Analysen eingesetzt.
Folgender Satz bleibt hängen:
“Von allen Seiten kreist die Technik den materiellen Körper ein, der in ihrem übermächtigen Angesicht erblasst, langsam transparent wird, um sich scheinbar ganz aufzulösen.” – Jörg Müller, aus “Virtuelle Körper”.
5 Bewegungen (Text von Joana Hermes)
Wir arbeiten an einer kurzen Choreografie (Phrase), dazu nutzen wir weiterhin die Projektion mit Raster. Die Phrase besteht aus 5 Bewegungen, die einen Loop bilden. Es gibt unendliche Möglichkeiten, wie eine Phrase verändert werden kann, dabei aber immer vom «Original» ausgeht. Um die Phrase zu variieren, spielen wir eigentlich «nur» mit Zeit, Raum und Energie. Wir entwickeln indem wir verbinden, kombinieren, entwickeln, beobachten, konfrontieren und daraus eine Bilanz ziehen.
Diese Vorgehensweise haben wir bereits angewendet: Tempo/Geschwindigkeit der Bewegung, schmale oder breite Positionen, grosse und kleine Armbewegungen, Pausen, Repetitionen, Akkumulation, positionell versus Fortbewegen. Weiterhin haben wir versucht, die “eight efforts” von Rudolf Laban auf die Phrase anzuwenden:
Wring – Press – Flick – Dab – Glide – Float – Punch – Slash.
Wir legen diese Veränderungen allerdings nicht fest. Konkret bedeutet das: Wenn sich eine von uns für eine Variation der nächsten Bewegung entschließt, spricht sie dies laut aus. Dafür haben wir Wörter festgelegt.
Da wir im Voraus nicht wissen wie die nächste Bewegung ausgeführt wird, befinden wir uns in einem wachen und aufmerksamen Zustand. Wir müssen konstant bereit sein, spontan die Richtung, die Position oder das Tempo zu wechseln.
Für mich bedeutet das, dass ich mich darauf konzentriere meine Körperachse und meinen Schwerpunkt in der größtmöglichen Flexibilität zu bewegen und nach Innen sowie nach Außen bestmöglichst wahrnehme, damit ich spontan reagieren und die Bewegungsaufgaben unmittelbar ausführen kann.
Die Schwierigkeit ist, dabei im Duo immer synchron zu bleiben. So, als seien wir ein einziger Körper oder ein Körper und sein Schatten. Wenn sich unsere Wirbelsäulen «zusammen» bewegen und wir gleichzeitig das Gewicht verlagern, bleiben wir synchron. Wir haben festgestellt, dass das Bild stärker ist je näher wir zusammenstehen. Sobald wir zu weit auseinander sind oder uns nicht mehr gleichzeitig bewegen, ist die Phrase weniger faszinierend.
Als Abschluss ein inspirierendes Zitat der Tänzerin, Choreografin und Pädagogin Jaqueline Robinson: «Die wichtigste Kompositionsmethode ist in der Tat die Entwicklung, die potentiell alle anderen einschließt, in dem Sinne, dass jede Methode nichts anderes tut, als die ursprüngliche Idee zu entwickeln, um eine Situation entstehen zu lassen».
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